Wie
aus einer Bahnfahrt eine Zeitreise durch mein Leben wurde und ich
erkannte was Heimat bedeutet.
Immer
wenn ich ein paar Tage nicht das Haus verlassen habe und auch sonst
keinen Kontakt zur Außenwelt hatte, ist der erste Gang nach draußen
so als erwache ich aus einem Traum. Ich entdecke, meine Umgebung neu,
nehme sie intensiver wahr.
In
diesem Zustand stieg ich in die Straßenbahn, um zu einem Seminar am
anderen Ende der Stadt zu fahren. An der ersten Station fiel mein
Bilck auf das leerstehende Einkaufsgebäude. Hier hatte ich eine Zeit
lang eingekauft, jetzt wird es bald abgerissen und der Park wird
erweitert. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lagen deutlich vor
meinen Augen.
Als die
Bahn in den U-Bahn-Schacht einfuhr bereitete sich nach kurzer Zeit
dieser typische Geruch im Inneren aus und katapultierte mich
geradewegs in die Vergangenheit. Ich sah mich wieder mit staunenden
Augen vor der großen Maschine stehen, die sich, wie ein Maulwurf
durch die Erde grub. Die Stadt hatte zu einem Tag der offenen Tür
eingeladen. Schon damals war da dieser Geruch, weder angenehm noch
unangenehm, aber er gehörte nur zur U-Bahn, soviel war klar.
Nach dem
die Bahn wieder das Tageslicht erblickte, sah ich als erstes auf
einen Balkon. Er war noch von der Weltmeisterschaft geschmückt,
voller Wimpel und Fähnchen in den Deutschlandfarben. Ich musste an
2006 denken, als die ganze Stadt voll war mit all diesen Fähnchen,
Flaggen und Wimpeln. Es war eine herrliche Zeit, alles fühlte sich
so leicht und beschwingt an. Ich glaube, wenn ich mal so richtig alt
bin, dann werden diese beiden Ereignisse für mich eine Einheit
gebildet haben, 2006 und der Weltmeistertitel.
Bei dem
nächsten Halt schaute ich auf die Autobahn. Sie durchquert fast
unsere ganze Stadt und ich kann mich jederzeit einfädeln in den
Verkehrsfluss, der mich hinaus führt. Mein Gott, wie viele Kilometer
ich schon auf Deutschlands Autobahnen unterwegs war, jedes Mal mit
Freude und viel Spaß. Ich liebe das Autofahren. Es gehört für mich
zu den schönsten Dingen in meinem Leben, mich in diesen
Verkehrsfluss zu begeben und mit guter Musik über die Autobahn zu
fliegen.
Die
nächste Station brachte weniger gute Erinnerungen. Sie erinnerte
mich an Jahre voller Krankheit und Abschied nehmen, von unbeschwerten
Jahren, von Menschen, von Illusionen. Rückblickend betrachtet waren
es die schwersten Jahre in meinem Leben überhaupt, bis jetzt
zumindest.
Weiter
ging die Fahrt an dem Krankenhaus vorbei, in dem ich meine Söhne zur
Welt gebracht habe und endete im dem Stadtteil, in dem mein
„Erwachsenenleben“ so richtig begann.
22
Minuten hat diese Fahrt gedauert, während ich gedanklich
jahrzehntelang unterwegs war.
Als ich
ausstieg, dachte ich, wie sehr meine Stadt doch mit meinem Leben
verwoben ist. Es gibt unzählige Gebäude, Straßen und Plätze, die
Teil meiner Lebensgeschichte sind. Ich spürte eine tiefe
Verbundenheit mit dieser Stadt und ich begann zu erahnen was Heimat
bedeutet.